Stadt Gießen 23.10.2004:                                In Gießen bleibt Britta auch in 15 Jahren – sowieso

 

Britta in ihrer Gießener Kneipe "Sowieso", in der sie seit 15 Jahren hinterm Tresen steht. Bild: Möller

Ein schräges Jubiläum einer ungewöhnlichen Kneipe - Zur Wirtin passt kein Klischee

(Rüdiger Dittrich, GIESSEN) Wirte scheinen Menschen ohne Nachnamen zu sein. Man geht zu Bruno in den Hawwerkasten, zu Ralf in die El-Be-Es, zu Heinz ins Klimbim. Oder auch zu Britta. Ins "Sowieso". Zu Britta kann man seit 15 Jahren gehen. Und weil Britta einen Sinn für das eher Schräge und Ungewöhnliche hat, feiert sie heute auch genau dieses Jubiläum etwas üppiger. Hätte auch das 13. Jubiläum sein können, sagt man an der Theke sitzend. Und Britta nickt. Wenn man Britta dem ökonomischen, also berechnenden Menschenschlag zuordnen wollte, müsste man ihr zum Namen der Kneipe gratulieren. "Sowieso" hört sich an, als müsse man sowieso mal hin. Und "Sowieso" verlockt auch, spätestens beim zweiten Besuch zu fragen, woher denn dieser seltsame Name komme. Wobei die Antwort lapidarer als erwartet ausfällt. "Das kommt aus dem Buch ,Der laufende Schwachsinn´", sagt Britta - und grinst. Die große Frau mit den schwarzen Haaren überrascht den Fragesteller immer wieder. Standardantworten aus der Klischeeschublade gibt es bei ihr nicht. Stellt man die üblichen Fragen zu den Härten des Jobs, rutscht sie auf dem Barhocker hin und her und blickt ein wenig unwillig drein. Mit dem Geld komme sie ganz gut klar und so anstrengend sei der Job nun auch nicht.

Kein Jammern, kein Klagen, kein "es ist so stressig", kein "es lohnt sich kaum noch". Britta nippt am Bier und fügt hinzu: "Naja, teurer möchte ich die Getränke auch nicht verkaufen. Da hätte ich ein schlechtes Gewissen. Die Studenten haben ja nicht so viel Geld." Auch ein Ansatz. Aber irgendwie passt das zu einer Frau von 46 Jahren, die im Pullover mit St. Pauli-Emblem hinterm Tresen steht. Weder Antworten noch Kleidung von der Stange. Lebe lieber ungewöhnlich.
Ungewöhnlich ist das "Sowieso" sowieso. Zugeständnisse an den Zeitgeist sucht man vergebens. Wie ehedem ist die Musik eher punkig bis rockig. Guter alter Backstein, solide Holztische und Barhocker, an die Wand hingehuschte Sinn(leere)-Sprüche. Kein Plastik, kein Neon, kein Schickimicki-Touch. Die mächtige ovale Tür mit dem Eisenring zeigt noch, warum die Kellerlokalität Frankfurter/Ecke Liebigstraße früher "Fass" hieß. Bis 1989 Klaus Göttmann vom Hardrock-Café den Laden übernahm. Mit Britta als Geschäftsführerin, die Kneipenerfahrung im Hardrock und der "Pupille" gesammelt hatte. Göttmann hat jetzt die Havanna-Bar, Britta steht ihre Frau im "Sowieso".
Eigentlich hat sie Landwirtschaftlich-Technische Assistentin gelernt, war an der Uni tätig. Irgendwann kam sie dann von der Milch- zur Bierwirtschaft. Das hing auch mit Klein-Sascha zusammen, der mittlerweile 27 Jahre alt und ziemlich groß ist. Alleinerziehend hatte sie so tagsüber mehr Zeit für den Sohn, der in der Uni-Bibliothek arbeitet und in einer Punkband namens "Youth academy" spielt. Familie ist auch so ein Thema, bei dem Britta allgemein gültige Ansichten auf den Kopf stellt.
Mit drei Jahren kam sie aus Hanau nach Gießen. Ins Heim "St. Michael". Der Vater gestorben, die Mutter "hat eine neue Familie gegründet", sagt sie lapidar. Und lässt keine bedauernswerten Blicke gelten, von wegen verlorene Kindheit und so. Nein, in der Wohngruppe - 13 Kinder, zwei Erzieher - das sei schon in Ordnung gewesen. Oder deutlicher: "Als die Klassenkameraden Stress mit den Eltern bekamen, wenn sie weg gehen wollten, bekamen wir einen Partyraum."
Wieder eine Antwort, die ungewöhnlich scheint. Genauso wie ihr Hobby: Torhüterin beim VfB 1900 Gießen war sie, als der Frauenfußball noch Damenfußball hieß und die grauen Herren des DFB diese Kick-Variante gerade genehmigt hatten. Und Fußball-Fan ist sie geblieben. Ab und an steht Britta auch heute noch im Fanblock - am Millerntor in St. Pauli. Hamburg, Berlin, Italien sind ihre Reiseziele. Und Sehnsucht? Würdest du gerne raus aus Gießen? Bei dieser Frage schaut Britta fast ungläubig. "Wieso, ich lieb´ die Stadt doch. Gießen ist jung, offen und tolerant." Da verleiht Britta Attribute, die zur Beschreibung ihrer Person ebenso passen könnten. Offen, jung, tolerant.
PS: Mit Nachnamen heißt Britta übrigens Prell.

 

(Quelle: Giessener Anzeiger)